Dienstag, 15. März 2011

Fremdschäme mich: Katastrophenmache im deutschen Fernsehen

Seit Freitag klebe ich stundenweise abwechselnd vor TV und Laptop. Ich bin sprachlos ob der Katastrophen, denen sich die Japaner stellen müssen. So sprachlos, dass ich zu Erdbeben, Tsunami, Feuer und Atomkatastrophe hier gar nichts sagen möchte. Ich glaube auch nicht, dass es dafür überhaupt passende Worte geben kann.
Aber ebenfalls seit Freitag wächst meine Abscheu und meine Wut, was die Berichterstattung der deutschen Medien angeht. Hierzu möchte ich so vieles sagen, dass ich es gar nicht schaffe, die Worte in meinem Kopf zu sortieren. Also frisch drauf los:
Bereits am Freitag, kurz nachdem ich von dem Erdbeben erfahren habe, habe ich der deutschen Berichterstattung in den Online-/Printmedien den Rücken gekehrt, weil ich keine Lust auf die informationsschwache Panikmache hatte, die auch schon Johnny im Spreeblick beklagt hat. Die Informationen, nach denen ich das Bedürfnis hatte, waren andere. Ich versuchte es zunächst auf ARD und ZDF und war danach wenigstens ein bisschen schlauer. Aber auch sehr bald sehr genervt. Die gesamte Berichterstattung schien sich um folgende Fragen zu drehen: Was bedeutet das Erdbeben für uns in Deutschland (????), welche Auswirkungen wird die Katastrophe auf die deutsche Wirtschaft haben? Wie viele deutsche THWler fliegen wann mit welcher Ausrüstung ins Krisengebiet und was halten sie von der Katastrophe.
Nach kurzer Zeit hatte ich einen dicken Hals und die Nase voll (ja, ich bin auch erkältet, aber das meine ich jetzt nicht). Mein Bedürfnis nach Information (!) stillte ich im Folgenden auf CNN und über den englischen NHK-Livestream (japanischer Sender). Das war noch bevor die Lage im Atomkraftwerk Fukushima (mutmaßlich) kritisch wurde.
Ich weiß nicht, ob es ein speziell deutsches Medien-Phänomen ist, alles auf sich selbst zu beziehen. Mal ehrlich, es interessiert mich einen Dreck, was die DIHK oder irgendwelche Wirtschaftsweisen zu den Auswirkungen auf den deutschen Exportmarkt sagen. DA UNTEN STERBEN MENSCHEN! Menschen, nicht Japaner oder Deutsche oder Amerikaner oder sonstwas. Menschen.
Immer mal wieder habe ich in den letzten Tagen dann doch bei ARD und ZDF reingesehen. Nach wenigen Minuten und mit steigendem Abscheu habe ich ausgeschaltet. Fragerunden auf dem Erfurter Marktplatz, ob man nun in Deutschland Angst haben müsse, wenn in Japan der GAU eintritt. Gestern Abend schließlich der Gipfel der Geschmacklosigkeit: Eine Expertenrunde in der ARD beantwortet Fragen besorgter deutscher Bürger ob der Auswirkungen eines (möglichen) GAUs (habe ich mir nicht angesehen, ich weiß also nicht, ob es solche Befürchtungen wirklich gibt).
Ich habe genau so wenig wie Johnny etwas dagegen, wenn nun der Atomausstieg erneut debattiert wird (btw: Kann mir jemand erklären, was ein Moratorium aus dem Ausstieg des Ausstiegs ist?). Aber eines ist doch klar: An der Situation in D hat sich durch einen (noch immer unklaren) GAU in Japan überhaupt nichts geändert. Allenfalls hat es einigen Menschen vor Augen geführt, dass Atomenergie nicht beherrschbar ist. Nicht wirklich neu, oder? Aber diese völlig substanzlose Panikmache und das sofortige Übertragen der Problematik auf uns Deutsche lässt mich vor Fremdschämen bibbern. Bitte, bitte sagt mir, dass nicht alle so sind.

Nachtrag: Meine Holde hat mich darauf hingewiesen, dass wir uns schon bei diversen Sportereignissen (Olympia, WMs, etc) aufgeregt haben, dass so deutschlandzentriert berichtet wird. Stimmt. Mehrere Male war es schwierig zu erfahren, wer gewonnen hat, weil nur die Deutschen auf den Rängen 8, 15 und 23 genannt wurden.

Nachtrag 16.03.: Peer Schader bestätigt im F.A.Z. Blog die Unmöglichkeit der Sondersendung zu deutschen Sorgen um den Atom-GAU in Japan: Die Fischstäbchen sind sicher!

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